Wenn wir dieser Tage, Ende Mai, durch die Straßen gehen, dann sind wieder Menschen unterwegs und die Geschäfte sind geöffnet. Auf den ersten Blick wirkt alles recht normal.

Auf den zweiten Blick sind wir jedoch recht weit von jeder Normalität entfernt. Das wird auch noch länger so bleiben, denn während der Wochen des Corona Lockdowns ist mit jedem Menschen etwas passiert. Keiner ist mehr der gleiche wie vor 9 Wochen. Wir alle haben Erfahrungen gemacht, die uns nachhaltig geprägt haben. Keiner ist davon unberührt geblieben. Selbst diejenigen, die objektiv betrachtet auch jetzt keine Sorgen zu haben bräuchten, haben in den meisten Fällen genug davon.  All diese Sorgen sind nur subjektiv bewertbar. Egal, ob sich der eine um sein Geschäft sorgt oder die andere um ihren Pool, all diese Sorgen sind gleichwertig, weil sie die gleichen Stressreaktionen im Körper hervorrufen.

Nach den Wochen des social distancings erleben wir nun wieder mehr Dichte – auf den Straßen, in den Geschäften, in der Schule, im Berufsleben. Mit den Erfahrungen der letzten Wochen gestaltet sich diese neue Nähe allerdings als recht schwierig. Alle Menschen müssen neue Verhaltensweisen an den Tag legen, wie Masken tragen oder Abstand halten. Die Mehrheit der Menschen will das nicht, tut es aber trotzdem, weil es notwendig und auch vorgeschrieben ist. Es wird zusehends schwieriger, mit den einschränkenden Regeln umzugehen.

Mit dieser neuen Dichte werden wir auch wieder mehr mit den anderen Schicksalen konfrontiert. Wir sehen nun mit eigenen Augen, dass der kleine Lieblingsfriseur am Eck nach dem Lockdown nicht mehr aufsperren kann. Wir sehen mit eigenen Augen, dass die Freundin nur mehr ein Schatten ihrer selbst ist, weil sie nicht weiß, wie sie als Alleinerzieherin die nächste Kreditrate zahlen soll. Wir sehen mit eigenen Augen, den Kollegen in der Depression versinken, weil die Aufbauarbeit der letzten zwei Jahre mit einem Schlag Geschichte ist.

Gleichzeitig beschäftigen uns jedoch auch unsere eigenen Erfahrungen und Ängste der letzten Wochen. Alles in allem ist und war das den meisten Menschen zu viel – unsere Nerven liegen blank – wir sind nicht in Balance und zeigen rasch Stress-Muster. Anstatt jetzt auf die anderen zu zugehen, ziehen wir uns tendenziell wieder zurück. Das passiert nicht notwendigerweise örtlich, sondern in einer Form der Unsicherheit und angelernter „Rücksichtnahme“ den anderen Menschen gegenüber. Wenn wir mit uns selbst zu tun haben, bleibt keine Kapazität mehr, uns um andere zu kümmern. So vermeiden wir es, uns auf die anderen einzulassen. Anstatt wieder in Resonanz zu gehen, besteht die Gefahr, dass wir uns nun noch mehr auf uns selbst fokussieren. Wir erleben das in der täglichen Aggression in den Geschäften, wir fallen einander in den Videokonferenzen ins Wort, hören nicht richtig zu, etc. Das gegenseitige Verständnis sinkt und die Verbindungen, die vor dem Lockdown tragfähig waren, beginnen nach so vielen Wochen zu bröckeln…

Wie wirkt sich nun dieser allgemein hohe Stresspegel auf die verschiedenen Menschentypen aus?

 

Beziehungsorientierung

Die beziehungsorientierten Menschen sind stark verunsichert.

Wenn sie mit anderen in Kontakt gehen, dann dürfen sie ihren natürlichen Impulsen nach körperlichem Kontakt wie Händeschütteln oder sich zu umarmen nicht folgen. Dadurch gibt es im persönlichen Zusammentreffen keinen gefühlten Anfang und kein Ende. Etwas fehlt. Es fühlt sich dumpf und öde an. Mit der Maske im Gesicht geht viel an Präsenz, Lebendigkeit, Echtheit und Direktheit verloren. Obwohl die Distanz nötig ist, fühlt sich der beziehungsorientierte Mensch zurückgewiesen und verunsichert. Dadurch entsteht bei ihm eine Art Unruhe und inneres Chaos, das sich in einer allgemeinen Zerstreutheit, Vergesslichkeit und vielen kleinen Fehlern ausdrückt.

Diesen Menschen hilft die echte Empathie von anderen, die sich in Zeiten des Abstands vor allem in einer Haltung ausdrückt. Eine bedingungslose Zuwendung würde helfen sowie ein aktives Zuhören durch das Gegenüber. Der beziehungsorientierte Mensch sollte das Gefühl bekommen, vorbehaltlos angenommen zu werden, sein Leid klagen zu dürfen, ohne sich dabei lächerlich zu machen. Seine Lernaufgabe dabei ist, den Mythos „ich kann etwas tun, dass es anderen gut geht“ aufzugeben, die Opferhaltung irgendwann zu verlassen und den eigenen Ärger über die Geschehnisse authentisch auszudrücken.

 

Sachorientierung

Die sachorientierten Menschen fühlen sich orientierungslos.

Ohne klare Ziele und Pläne ist es, als hätte man ihnen einen Teppich, mit dem erarbeiteten Schrittmuster weggezogen. Nun gilt es neue Schritte zu setzen, doch die Frage ist, wohin? Die von außen auferlegten Ziele und Strukturen sind nicht die eigenen, daher können diese nicht als neue Orientierung dienen. Sachorientierte Menschen leben daher im Widerstand und verlieren damit ihre Selbstwirksamkeit. Ohne Plan, ohne Struktur und Wirksamkeit bleibt nur das Nichts, in dem sich diese Menschen immer schneller zu drehen beginnen. Die Zeit will ja effektiv genützt werden. Also wird getan: Informationen gesammelt, Diskussionen angehört, Besprechungen abgehalten, Konzepte entwickelt, neue Pläne gefasst ... die alle jedoch wiederum nur ins Nichts führen. Am Ende des Tages ist wieder nichts erledigt, wieder nichts fertig. Sie erleben eine Art „rasenden Stillstand“, der den Stresspegel ständig erhöht. Dadurch sinkt die Toleranzgrenze anderen Menschen gegenüber. Sie werden sehr ungeduldig, immer schneller und finden kaum Ruhe. Der frustrierte Ärger über alles und jeden ist ihr ständiger Begleiter, der rasend schnell hervorkommen kann.

Andere Menschen können helfen, indem sie den sachorientierten Menschen zuhören und gezielte Fragen stellen - indem Sie auf ihre Themen eingehen und diese gemeinsam vertiefen. Der sachorientierte Mensch will für seine Gedanken, Pläne und Ergebnisse ernst genommen werden. Es gilt zu erkennen, dass zurzeit das große Ziel ist, das pure Überleben zu sichern, ohne einen Anspruch auf Perfektion, Details oder Feinheiten. Die Lernaufgabe dabei ist die Erkenntnis, dass es jetzt um einen Abschiedsprozess geht. Um einen Abschied von der „alten“ Zukunft und der Hinwendung zu etwas Neuem, das es noch zu entwickeln gilt.

 

Werte- und Meinungsorientierung

Werte- und meinungsorientierte Menschen fühlen jetzt einen schweren Herzschmerz.

Dies fühlt sich an, als würde die Welt im Großen untergehen. Alles, was die Welt bisher ausmachte: die gemeinsamen Werte, die Komplexität, das große Zusammenspiel aller Teile, die Abhängigkeiten, die Kooperationen... das alles hatte seinen richtigen Platz und seine richtige Aufgabe.

Nun ist alles in Frage gestellt. Alles ist kollabiert, alle Regeln und bestehenden Werte wurden ausgehebelt. Werteorientierte Menschen hadern nun mit Fragen, ob alle Maßnahmen wirklich sinnvoll waren oder gar, ob alles bisher falsch war. Wie geht es weiter? Wird dann alles richtig sein? Sie spüren eine tiefe Sorge darüber, was danach kommen wird. Werden die richtigen Entscheidungen getroffen werden, wird die Regierung genug nachdenken und alle Konsequenzen ihrer Entscheidungen bedenken?

Sie fühlen sich verloren in der Komplexität der Themen, die nicht in allen Details bedacht, kalkuliert und berücksichtigt werden können. Dabei können düstere Phantasien über zukünftige, apokalyptische Szenarien entstehen, die das Herz dieser Menschen immer schwerer werden lassen. Die Nerven liegen dabei blank. Sie werden anderen gegenüber ungehalten und arrogant, da diese das wahre Ausmaß der (eigentlichen) Katastrophe nicht erkennen wie sie. Das drückt sich in einer abwertenden Sprache, Wutausbrüchen und „Predigten“ über das, was richtig wäre zu tun, aus. Hinter all dem steckt die pure Angst, dass das Regelwerk der Welt versagen könnte.

Diesen Menschen könnten wir jetzt helfen, indem wir ihnen das Gefühl geben, an ihrer Meinung wirklich interessiert zu sein. Sie wollen gehört werden, und egal, ob ihre Meinung dem Mainstream entspricht oder nicht, diese auch aussprechen dürfen. Der Austausch mit Gleichgesinnten ist heilsam sowie das Ausdrücken ihrer Sorgen und Meinungen in ernsthaften Diskussionsrunden, auf hochwertigen Plattformen, in Kommentaren oder Blogs. Ein ehrlicher Austausch mit Menschen, die trotz all der Sorgen zuversichtlich sind und langfristige Optionen zur Verfügung stellen können, ist sehr hilfreich. Die Lernaufgabe ist die Erkenntnis, dass pure Angst (vor Versagen) der Motor hinter der gefühlten Ohnmacht und der eigenen großen Wut ist.

 

Handlungsorientierung

Handlungsorientierte Menschen fühlen sich jetzt gefangen.

Normalerweise lieben diese Menschen, zu handeln, große Schritte zu machen, schnell Ergebnisse zu erzielen, Risken einzugehen und Chancen zu ergreifen. Dies alles ist momentan nur sehr eingeschränkt möglich, daher entsteht sehr schnell das Gefühl, wie in einem Käfig gefangen zu sein. Nichts ist möglich. Um aber trotzdem zu handeln, entsteht schnell ein gewisser Aktionismus, eine Art operative Hektik – gepaart mit geistigem Stillstand. Eine Vorgangsweise, die meist nur wenige Erfolge mit sich bringt.  Nachdem dies für sie jedoch inakzeptabel ist, bleiben sie mit Biegen und Brechen dran. Wenn sie sich bedroht fühlen, entwickeln sie gewaltige Energien, die freigesetzt werden wollen. Das drückt sich in großer Heftigkeit aus – sowohl in ihrer Sprache als auch in den Handlungen. Durch viel virtuellen Kontakt spüren sie kaum Grenzen. Sie dehnen diese daher weiter und weiter aus, ohne Widerstand zu spüren. Es drohen dabei Maß- und Haltlosigkeit. Ihre Sprache ist rasend schnell. Oft ist es ein emotionsloses Aufzählen von Fakten, getränkt durch gnadenlose Selbstironie und Abwertung der anderen. Diese werden in deren Welt dabei zu manipulierten, willenlosen Spielbällen die sich schwach hinter ihren Masken verstecken.

Im Umgang mit handlungsorientierten Menschen hilft es, ebenfalls Stärke zu zeigen und spürbar Grenzen zu setzen. Obwohl dies für viele andere Menschentypen (vor allem für beziehungsorientierte Menschen) eine sehr große Herausforderung ist, sollten sich diese das auf jeden Fall trauen, da sich die handlungsorientierten Menschen dann wieder spüren und gerne einen Gang zurück schalten. So erfahren sie Stärke ihres Gegenübers und merken, dass sie in ihrer Aktivität nicht alleine sind. Dieses innere Dagegenhalten und die aktive Auseinandersetzung stellen auch Beziehungsangebote dar, die sehr hilfreich sind, da diese Menschen oft selbstprovoziert gemieden und gefürchtet werden. Ihre unbändige Energie sollte darüber hinaus in einer überdimensionalen Aufgabe kanalisiert werden. Hier kann auch jederzeit eine provokative Ansage wie „das schaffst Du nie“ beinhaltet sein, die gerne angenommen werden wird. In der Freizeit hilft das tägliche Sportprogramm, das eher auspowernd als ausdauernd sein sollte.

 

Kontaktorientierung

Menschen mit hoher Kontaktorientierung fühlen sich fieberhaft unruhig und stark gelangweilt.

Es fehlt ihnen der abwechslungsreiche Kontakt zu anderen Menschen. Das macht sie hochgradig nervös und unruhig. Ohne Ablenkung fühlen sie sich eingesperrt wie im Käfig und werden latent aggressiv. Wie ein Vogel, der versehentlich in eine Wohnung geflogen ist, und nicht mehr herausfindet. Jeder Weg ist eine Falle, es gibt keinen Ausgang. Je mehr Versuche gemacht werden auszubrechen, desto enger dreht sich der Strick, von dem sie sich gefangen fühlen. Es fehlt an Leichtigkeit und Ablenkungen. Die fieberhafte Unruhe wird sehr lange unterdrückt und bahnt sich in beißendem Zynismus und aggressiver Provokation ihren Weg.

Tätigkeiten werden mit großer Unlust erledigt und oft unangemessen delegiert. („Wozu soll ich mir dauernd die Hände waschen – das ist doch Sisyphus-Arbeit“)

Menschen mit hoher Kontaktorientierung hilft der Weg hinaus ins Freie. Ohne mit anderen Menschen dort in Beziehung zu treten, reichen die Reaktionen der anderen auf das provozierende Bild auf der eigenen Gesichtsmaske. Hilfreich für diese Menschen ist die Annahme des Spielangebotes, statt des formellen Händeschüttelns die Fersen oder Ellenbogen aneinander zu stoßen. Diese und andere kreative Ideen sind Impulse, auf die gerne reagiert wird. Vorgesetzte sollte diesen Menschen das Gefühl der Freiheit vermitteln, indem sie ihnen erlauben, die Maske alleine in der Teeküche abzunehmen oder sich ohne Zurechtweisung zehn Minuten zu spät in das tägliche Meeting einzuwählen. Die lustigen WhatsApp Nachricht zwischendurch sorgt ebenfalls für heilsame spontane Reaktionen. All diese Kleinigkeiten lenken kontaktorientierte Menschen ab, sorgen für Abwechslung und Freiheit, und geben ihnen das verwegene Gefühl, Regeln übertreten zu dürfen ohne, dass Schaden entsteht.

 

Reflexionsorientierung

Reflexionsorientierte Menschen fühlen sich zurzeit bedrängt.

Durch die wieder zunehmende Dichte an Kontakten und eine eventuell drohende Rückkehr in ein Großraumbüro gibt es immer weniger Rückzugsmöglichkeiten. Bedrängung erfahren diese Menschen auch im übertragenen Sinn durch die Fülle an bedrohlichen Ereignissen im Draußen, die alle entsprechend verarbeitet und bedacht werden wollen. In dieser Bedrängnis tendieren diese Menschen dazu, sich immer mehr zu entziehen, sowohl ihren Beziehungen als auch den Reizen der Außenwelt. Sie verlieren dadurch ihren großen Einfallsreichtum und ihre Zuverlässigkeit, da sie der Außenwelt nicht mehr oder nur wenig zur Verfügung stehen.

Sehr hilfreich für diese Menschen mit diesem Stress-Muster sind klar delegiert Aufgaben, Routinen und Strukturen. Entweder zur Verfügung gestellt von außen durch die Familie, dem Chef oder Kollegen, optimalerweise jedoch durch sich selbst. Die tägliche Routine – nun wieder im Großraumbüro - sollte beinhalten, dass beispielsweise jeden Tag um 12 Uhr gegessen wird und danach die Mutter oder Tochter angerufen wird. Dadurch wird der ständige Rückzug ungefragt unterbrochen und wieder Kontakt hergestellt. Andere können helfen, indem sie reflexionsorientierte Menschen auffordern, ihnen ihre Gedanken mitzuteilen und so zeigen, dass ihre Überlegungen erwünscht sind.

 

Selbsterkenntnis als Basis von Selbstwirksamkeit

Diese Beschreibung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit – und vielleicht fehlen Ihnen noch verschiedene Details Ihrer individuellen Ausprägung. Doch diese Grundmuster sind alle in uns angelegt und das eine oder andere ist bei uns stärker wirksam.  Viele Menschen kennen sich selbst recht gut und haben auch die Kraft, sich selbst ihre dahinter liegenden psychischen Bedürfnisse zu befriedigen.

Jenen, die sich damit schwer tun, sei geraten, sich mit einem erfahrenen Coach, der diese Muster gut kennt, zu reflektieren. Das individuelle Profil lässt sich auch durch ein Testverfahren (Process Communication Model) erstellen. Im anschließendem Auswertungsgespräch und Coaching können die besten Strategien für Selbstwirksamkeit erarbeitet werden.

Besonders in einer Zeit - nach einer Phase der Compliance und der Anpassung - ist es wichtig, das starke Gefühl von Selbstwirksamkeit (wieder) zu entwickeln.

 

Wir freuen uns auf Ihren Kontakt! Unsere Coaches arbeiten wieder gerne mit Präsenz-Meetings.