Einführung        

Für BeraterInnen stellt es wertvolles Know How dar, wenn sie Kundensituationen, mit unterschiedlichen „Brillen“ anschauen können. Damit gelingt es, die „Problem-Sicht“ des Kunden zu verlassen und neue Blickwinkel zu erschließen. Dies ermöglicht neue Hypothesen und damit auch neue Lösungswege.

Diese „Brillen“ können praktische Erfahrungen der BeraterInnen sein, aber auch theoretische Modelle, wie beispielsweise ein Change Modell, ein Modell aus der Gruppendynamik, Systemtheorie, Konfliktmanagement, etc.

Wir wollen uns in den nächsten beiden Blogbeiträgen einer „Brille“ widmen, die im Beraterbusiness noch recht unüblich ist, und zwar der Quantenphysik. Mit diesem Wissen und den zugrundeliegenden Phänomenen können neue Brillen zur Beobachtung geschaffen werden,  sowie neuartige Werkzeuge für Interventionen in der Arbeit mit Gruppen.

Im Austausch mit Dr. Wolfgang Fleischer, einem Physiker und langjährigen KICK OFF Kunden sowie Teilnehmer unserer Coaching Ausbildung, nutzten wir den heurigen Sommer unter anderem für die Beschäftigung und praktische Anwendung dieses Modells in der Arbeit mit Gruppen.

In Teil I des Blogs erläutern wir die Grundlagen der Quantenphysik um diese dann in Teil II auf die Arbeit mit Gruppen umzulegen. Bleiben Sie dran beim Lesen, so eröffnen sich völlig neue Potenzialitäten im Arbeitsalltag ...

Quantenphysik

Die Quantenphysik ist die Physik der kleinsten Elemente, der Atome, der Atomkerne, der Elementarteilchen, wie Elektron, Neutrino, Photon, und weiteren. Sie ist aber auch die Physik der kleinsten Energien. Wenn immer man es entweder mit extrem kleinen Dimensionen oder aber mit extrem niedrigen Energien zu tun hat, tritt die Quantenphysik in den Vordergrund und beschreibt unsere gemeinsame Realität. (Raymer, 2017)

Gleichzeitig wird die Quantenphysik aber auch bei den größten Phänomenen in unserem Universum relevant, z.B. bei der Supernova, dem letzten Aufschrei sterbender Sterne, sowie bei Schwarzen Löchern, den Supernova-Überbleibseln von Sternen, die mehr als die dreifache Masse (Siegel, May 19 2020) der Sonne haben.

Der Quantenphysik wird nachgesagt, dass sie „seltsam“ sei, dass sie unserer Realität widerspricht. Diese Aussage wird verständlich, wenn man die klassische Physik als die Grundlage der einzig wahren Realität definiert. Tatsächlich ist aber die Quantenphysik die viel umfassendere Physik und damit die Grundlage einer viel umfassenderen Realität, die wir uns erst nach und nach erarbeiten müssen. Auch wenn es uns noch nicht in allen Details gelingt, die klassische Physik kann man aus der Quantenphysik ableiten.

Lässt man sich darauf ein, dass die Quantenphysik unsere Realität bestimmt, steht man plötzlich vor einer Unzahl unerklärter Phänomene von einer neuen Welt. Plötzlich verstehen wir, was wir nicht wissen, und können uns in der Hoffnung, dass die Aufmerksamkeit auf das Nichtwissen Neugierde erzeugt, die irgendwann Wissen erzeugt, mit der Quantenphysik offen und neugierig auseinandersetzen. Unter dieser Sichtweise gibt es nichts Sonderbares an der Quantenphysik. Nur ein paar Dinge, die wir noch nicht verstehen, weil sie nicht Ausdruck der klassischen Realität waren und wir erst neue Zugänge dazu finden müssen (Fleischer, 2020).

Mit dieser Einstellung  werden wir auf die grundlegende Ausprägungen der Quantenphysik zugehen und später Analogien zu Verhalten von und Phänomenen in Gruppen bilden.

Charakteristika der Quantenphysik

Die Quantenphysik (QP) wird als Modell, mit dem sich Menschen ihr nähern, durch die Quantenmechanik dargestellt. In der Quantenmechanik (QM) beherrscht die Schrödingergleichung die Zustandsentwicklung der quantenmechanischen Zustände. Ein Zustand wird durch einen sogenannten Zustandsvektor dargestellt, der in der Ortsdarstellung in seiner einfachsten Form als ebene Welle vorstellbar ist. Diese ebene Welle wird auch als Amplitudenfunktion bezeichnet und beinhaltet – als Lösung der Schrödingergleichung – alle Information, die notwendig ist, um die weitere Entwicklung des Zustandes zu beschreiben, ja vorherzusagen. In der gegenwärtigen, wohl sinnvollsten Interpretation stellt diese Amplitudenfunktion die „Führungswelle“ dar, die die Teilchen dieser Welle im Ortsraum längs eines bestimmten Pfades leitet. Menschen ist die Amplitudenfunktion oder Führungswelle der QP nicht zugänglich. Menschen können in der QP nur Intensitäten beobachten, die sich rechnerisch in der QM aus der Quadratur der Amplitudenfunktion ergeben. Obwohl es in der Regel nicht so dargestellt wird, wollen wir in der QP den Amplitudenraum und den Intensitätsraum unterscheiden.

Amplitudenraum: er beinhaltet alle Informationen zur Zustandsentwicklung des betrachteten Quanten­objektes. Er kann vom Menschen mathematisch beschrieben, aber (noch) nicht beobachtet werden.

Intensitätsraum: er stellt den Raum dar, in dem der Mensch seine Beobachtungen tätigen kann. Das was Menschen beobachten ist alles im Intensitätsraum. Unsere Realität ist im Intensitätsraum - zumindest bisher.

Aus QP Sicht ist dabei zu erwähnen, dass nach der Beobachtung das beobachtete Objekt nicht mehr in seinem ursprünglichen Zustand existiert. Es hat sich verändert, es hat seine charakterisierenden Eigen­schaften verändert. In bestimmten Beobachtungen geht es in einen Bindungszustand mit einem anderen Objekt über, in anderen kann es sogar in reine Energie umgewandelt werden. Der QP ist zu eigen, dass eine Messung oder eine Beobachtung das Objekt selbst massiv beeinflusst.

Superposition / Überlagerung: ist eines der grundlegendsten Prinzipien der QP. In der QM wird dieses Prinzip beschrieben durch die Tatsache, dass sich zwei Zustände als Lösung der Schrödingergleichung überlagern können und wieder eine gültige Lösung der Zustandsgleichung ergeben. Überlagerungs­phänomene lassen sich wunderbar an einem See beobachten, indem man in einem gewissen Abstand zwei Steine in das Wasser wirft und dabei beobachtet, was mit den Wellen, die von den Aufschlagstellen der Steine ausgehen, passiert.

Kohärenz: ist eine grundlegende Eigenschaft von quantenphysikalischen Objekten. Allgemein versteht man darunter, dass die Amplitudenfunktion zweier Wellen oder Quantenobjekte zueinander in einer festen Beziehung stehen, die sich über die Zeit und die Distanz nur sehr langsam, bzw. gar nicht ändert. Kohärenz ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Interferenz zustande kommen kann.

Gestört wird die Kohärenz durch Wechselwirkung mit der Umgebung, die Dekohärenz erzeugt, und damit in der QP den Übergang zu klassischen Verhalten verursacht. In der QM ist die Dekohärenz der grundlegendere Begriff.

Interferenz: basiert auf dem Prinzip der Superposition / Überlagerung kohärenter Zustände im Amplitudenraum. Interferenz für Lichtwellen kommt zustande, wenn sich die Lichtwellen auf ihrem Pfad an Hindernissen brechen und verschiedentlich gestreut werden. Überlagern sie sich in weiterer Folge ihres Pfades dann wieder, kommt es für kohärente Lichtwellen zur Interferenz, die für den Menschen beobachtbar wird, wenn er ein entsprechendes Messinstrument in den Pfad stellt (Intensitätsraum). Das gleiche gilt für andere quantenphysikalische Objekte aufgrund ihrer Welleneigenschaften, z.B. Elektronen.

Findet auf dem Pfad eine Wechselwirkung mit einem äußeren Objekt statt, so kommt es quasi instantan zur Dekohärenz und damit zum Verschwinden des Interferenzbildes auf der Messapparatur. Sowohl die Darstellung der Interferenz, sowie deren Verschwinden ist ausführlich im Doppelspaltexperiment für Licht als auch für materielle Quantenobjekte (Elektronen) studiert worden. Der Bezug auf die klassische Realität als gültige Realität führt dabei leicht zu Verwirrungen und damit zur Aussage, „dass die QP seltsam sei“. Die führenden Forscher waren im letzten Jahrhundert sehr erstaunt über manche Phänomene, die sie aus der klassischen Physik so nicht kannten (z.B. dass Teilchen Welleneigenschaften in bestimmten Experimenten zeigen konnten).

Verschränkung: bringt man zwei quantenphysikalische Objekte in einen gemeinsamen Überlagerungs­zustand so sind sie miteinander verschränkt. Die Verschränkung bleibt solange aufrecht, bis es durch Wechselwirkung zur Dekohärenz der beiden Zustände kommt. Die Zustände können sich dabei beliebig weit voneinander entfernen, solange sie keine zwischenzeitliche Wechselwirkung erfahren, bleibt die Verschränkung aufrecht.

Die Beschreibung der Natur nimmt die Existenz einer objektiven Realität* an. Die Nichtbeobachtung oder Nichtbeobachtbarkeit eines Objektes führt dazu, dass alle möglichen Entwicklungspfade zu der Zustandsentwicklung des Objektes beitragen können und daher nur mehr Wahrscheinlichkeitsaussagen für die Beobachtung im Intensitätsraum gemacht werden können. Dies gilt für die klassische Physik ebenso wie für die Quantenphysik. Während es in der Quantenphysik noch berechenbar ist, ist das für die klassische Physik wegen der Komplexität der notwendigen Rechnungen nicht mehr möglich.

Soweit ein Überblick über die Quantenphysik und deren Begrifflichkeiten. Schauen wir uns im 2. Teil unseres Blogs an, welche neuen Brillen uns für die Arbeit mit Gruppen damit zur Verfügung stehen.

 

Literaturverzeichnis

Edding, C., & Schattenhofer, K. (Hrsg.). (2015). Handbuch - Alles über Gruppen (2. Ausg.). Weinheim: Beltz Verlag .

Fleischer, W. (2020). Der Quantenlehrling (1. Ausg.). Wien: Eigenverlag.

König, O., & Schattenhofer, K. (2018). EInführung in die Gruppendynamik (9. Ausg.). Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag.

Raymer, M. G. (2017). Quantum Physics (1. Ausg.). Oxford - UK: Oxford University Press.

 

*Es ist bekannt, dass es dagegen Einwände geben kann. Deren Bearbeitung ist im Rahmen dieser kurzen Betrachtung aber nicht möglich.